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SCHLESWIG-HOLSTEIN sollte DEUTSCHLAND freischleppen...
Die Havarie von Großenbrode
Als am späten Abend des 10. Novembers 1957 das Fährschiff DEUTSCHLAND der Deutschen Bundesbahn den dänischen Hafen Gedser verließ, ahnte noch keiner
der 51 Reisenden an Bord, wie lange diese Reise dauern würde. Doch es sollte sich noch sehr viel ereignen, bis diese Überfahrt ihr Ende fand...
Eigentlich war alles glatt verlaufen. Obwohl die Ostsee brodelte und ein starker Nordoststurm mit bis zu acht Windstärken tobte, befand sich das Schiff
um kurz vor halb eins vor Großenbrode, dem "Puttgarden der fünfziger Jahre", als die DEUTSCHLAND
einen noch deutlich weiteren Weg zurückzulegen hatte, um nach Dänemark zu gelangen. Sie befuhr diese Strecke seit dem 9. Mai 1953. Davor war auf der zwei Jahre zuvor eröffneten Linie fast nur das kleinere dänische Schiff
DANMARK beschäftigt gewesen, das auch noch den Dienst Gedser-Warnemünde bediente und nur einmal am Tag nach Großenbrode fuhr. Die DEUTSCHLAND
hatte bei ihrer Indienststellung einen erheblichen Kapazitätszuwachs bedeutet, mit ihrer Länge von 114,6 m und der Breite von 17,7 m stellte sie 256 m Gleislänge zur Verfügung, so daß z. B. etwa 9 Reisezug- bzw. 24 Güterwagen trajektiert werden konnten. Im Auto- und Passagierfährverkehr konnte das Fährschiff, das mit zweimal 2750 PS eine Geschwindigkeit von 16 Knoten entwickelte und so die Überfahrt in 2 3/4-Stunden meisterte, 90 Autos und 1200 Passagiere befördern.
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FS DEUTSCHLAND in seinem Ursprungszustand von 1953. Sehr zeitaufwendige Paintbrush(!)-Zeichnung von R. C. Schöttker. Weitere Farbvarianten gibt es hier.
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Zurück zu jener Nacht des 11. November 1957: Die DEUTSCHLAND
näherte sich immer mehr ihrem Anleger, der damals übrigens lediglich aus schnell aufgebauten, kräftigen Mannesmann-Dalben bestand, als die Küstenströmung und der Sturm zugleich auf das Schiff einwirkten. Die Folge: Das Trajekt lief noch vor der Mole aus dem Ruder und blieb neben dem Behelfshafen, der einst Marinegelände gewesen und eiligst in knapp drei Monaten erbaut worden war, auf dem felsigen Grund liegen. Aus eigener Hilfe konnte sich die
DEUTSCHLAND
nicht befreien, sie verbog sich dabei nur ihre Propeller. Aber ihrem Kapitän Gonnsen war auch bewußt, daß der Schiffsboden diese steinige Massage nicht lange mitmachen und die Ostsee sein Schiff mit der Zeit immer weiter auf den Strand drücken würde, was eine spätere Bergung nicht gerade erleichterte. Daraufhin wurde der Bugsier-Schlepper HERMES in Kiel angefordert, der jedoch noch einen langen Anfahrtsweg hatte. Die schnelle Hoffnung wurde in das kleine Fehmarnsundfährschiff
SCHLESWIG-HOLSTEIN gesetzt, das ebenfalls zur Deutschen Bundesbahn gehörte. Zunächst sah diese (kostengünstigere) Alternative auch recht gut aus: Bereits um 4.00 Uhr hatte das 41 Meter lange und 10 Meter
breite Schiff unter Kapitän Hinte eine Leinenverbindung aufgestellt und taute mit seinen immerhin 400 PS an. Doch wie es so schön heißt: Ein Unglück kommt selten allein. Plötzlich schlug die SCHLESWIG-HOLSTEIN
leck und wurde bei Sütel auf Sand gesetzt, wobei nur noch die Aufbauten aus dem Wasser ragten, während die Menschen an Bord der großen Schwester noch relativ sicher waren...
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14 m Länge, 4,55 m Breite, 1,38 m Tiefgang und bei 150 PS knapp 9 Knoten Geschwindigkeit. Das sind die Hauptdaten des kleinen Schiffes, das
sich um 7.40 Uhr aus dem Inselhafen Burgstaaken schiebt. Es ist das Motorrettungsboot WESER der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger, benannt nach dem Fluß an seinem ersten
Einsatzpunkt Bremerhaven, von dem aus es seit Oktober 1944 zu Rettungsfahrten unterwegs war. Seit März 1954 ist es auf Fehmarn stationiert. An Bord sind Vormann Ludwig Schwenn, der kurz zuvor über Funk
von den Strandungen gehört hat, Rettungsmann Böhrk und ein Maschinist. Als das Boot eine Stunde später am Unfallort eintrifft, sieht die Situation folgendermaßen aus: Die DEUTSCHLAND liegt bei
drei Meter Wassertiefe in Lee, ihr eigentlicher Tiefgang beträgt aber 4,5 Meter! Nur 20 Meter weiter bricht sich die See... 80 Meter entfernt liegt die SCHLESWIG-HOLSTEIN. Ihre Lage ist noch immer
nicht besser geworden, trotzdem will die Besatzung das Schiff noch nicht aufgeben. Die WESER geht daraufhin längsseits der DEUTSCHLAND und erkundigt sich. Kapitän Gonnsen dankt Vormann
Schwenn, die Passagiere wollen aber vorerst an Bord bleiben, und der Schlepper ist ja auch schon unterwegs. Das Rettungsboot läuft nach Großenbrode Kai in den Fährhafen und bleibt in Bereitschaft.
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Um 13.00 Uhr trifft der Bergungsschlepper HERMES
(50,5 m lang, 8,6 m breit, 3,7 m tief, 400,5 BRT, 2 x 1200 PS, 15 kn) endlich ein. An Bord sind Vertreter der Bugsier AG, der DB sowie Experten der Seeberufsgenossenschaft (SBG) Lübeck. Es dauert noch einige Zeit, bis der Bergungsvertrag unterzeichnet ist und die
HERMES um 15.00 Uhr endlich die mittschiffs zur Brandung stehende DEUTSCHLAND antaut, über deren Aufbauten ständig die aufbrandende Gischt hinwegfegt. Auch kommt das Schiff der Mole immer näher... Der
Wind hat sich inzwischen noch verstärkt und soll auch weiterhin mit bis zu 9 Windstärken aus Nordost blasen. Höchste Zeit also, etwas zu unternehmen. Doch auch über die fünf Menschen an Bord der Sundfähre muß
nachgedacht werden. So tauscht sich bald der Bergungskapitän, der niemand anderes als "Katastrophen-Meyer" ist, mit dem wieder an der DEUTSCHLAND eingetroffenen Rettungsbootvormann aus.
"Schwenn, wie denkst du über die Besatzung der SCHLESWIG-HOLSTEIN?" Der zeigt sich skeptisch:"Die Besatzung muß von Bord", antwortet er," bevor die Nacht anbricht". Dabei
verweist er auf den nicht gerade günstigen Wetterbericht. Meyer stimmt ihm zu und zeigt auf Herrn Günther Meier (heute als Autor bekannt, damals Leiter des Bahnbetriebswerkes in Heiligenhafen) von der Bundesbahn und
einen Kollegen von der SBG, die mit dem Vormann sprechen wollen. Kurze Zeit später stehen die beiden an Bord der WESER.
Als die HERMES bereits eine halbe Stunde an der DEUTSCHLAND zurrt, die zwar ihre Doppelbodentanks gelenzt hat, sich aber nur wenig vom
Fleck rührt, legt die WESER von der DEUTSHLAND ab und steuert das Wrack der SCHLESWIG-HOLSTEIN an. 80 Meter nordöstlich des Schiffes peilen Vormann und Rettungsmann den Platz, an dem das Rettungsboot
den Anker fallen läßt. Gut 50 Meter läßt Schwenn das Boot mit der Strömung treiben und prüft dann, ob der Anker auch wirklich hält: Er tut es und wird es hoffentlich auch weiterhin tun. Der Vormann läßt die WESER
auf fünf bis acht Meter an die Fähre sacken, was bei dieser See mehr als schwer ist. Doch der Anker sitzt perfekt im Ostseegrund und es gelingt, durch eine Wurfleine ein Hanftau zu übergeben, welches die
Besatzung der SCHLESWIG-HOLSTEIN am Brückendeck befestigt. Zwar ist durch die Schlagseite von knapp 20° die Wallschiene und damit die gefährlichste Stelle an der Fähre unter Wasser verschwunden, trotzdem muß
darauf geachtet werden, daß kein wuchtiger Zusammenprall passiert, während man sich langsam dem Schiff nähert.
Unerwartet kommt eine Grundsee auf das Boot zu und für einen Moment scheint der Rettungsmann Böhrk am Bug verschwunden zu sein. Schwenn dreht die
Maschine aus, doch der Kamerad taucht an seiner Stelle wieder auf, zwar naß, aber gesund. Das Schauspiel wiederholt sich kurz darauf noch einmal, doch können sich alle an Bord festhalten, und die Rettungsversuche
wieder aufgenommen werden. Das Boot wird dicht an die Fähre gesteuert, und drei Seeleute können aufgenommen werden, woraufhin jedoch die Haupttrosse bricht und das Boot vom Wrack manövriert werden muß. Es folgen
zwei ebenso gefährliche Versuche, dann ist es geschafft: Alle Besatzungsmitglieder sind an Bord. Die letzten Verbindungsleinen werden gekappt, der Anker gelichtet. Letzteren können die Rettungsmänner allerdings erst
später in ruhigem Gewässer aufnehmen. Dann geht es zurück zur DEUTSCHLAND, und "jetzt sehe ich erst die vielen hundert Augenpaare", wie der Vormann später schreibt, "die die Rettungsaktion
verfolgt haben".
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Um 17.00 Uhr, die WESER ist schon am 3863 BRT-großen Ostseefährschiff zurück, bittet Kapitän Gonnsen seinen Kollegen zu sich und bedankt sich
herzlich für das Wagnis. Seine Passagiere will er aber noch zumindest bis zum nächsten Morgen an Bord behalten, während die fünf Mann Besatzung der SCHLESWIG-HOLSTEIN
nach zwanzig Stunden ohne Proviant endlich wieder etwas essen können.
Doch die Befürchtungen des Kapitäns stellen sich nicht ein. Um 18.00 Uhr gelingt es dem Bergungsschlepper die DEUTSCHLAND um 30° zu drehen. Nun
können die anstürmenden Wogen das Schiff nicht mehr direkt angreifen, und um 19.45 Uhr ist es geschafft: Die HERMES hat den Havaristen vom "Schiet" geschleppt und mit mehr als zwanzig Stunden Verspätung
trifft er in Großenbrode Kai ein. Alle Tanks und Bilgen sind dicht, das Ruder funktioniert, nach fast einem Tag auf dem steinigen Felsgrund ein kleines Wunder. Am Tag darauf wird das Schiff nach Kiel in die Bauwerft
Howaldt verholt. Hier muß aber doch einiges an Kielplatten ausgewechselt werden (es sind 40 an der Zahl!), bis die DEUTSCHLAND wieder zurückkehrt. Während auch die WESER Großenbrode Kai in Richtung
Burgstaaken verläßt, liegt die SCHLESWIG-HOLSTEIN noch auf Strand bei Sütel, als am 14. November Ministerpräsident Kai-Uwe von Hassel mit Bundespräsident Theodor Heuss auf dem nach ihm benannten, neuen
DB-Flaggschiff die Gästefahrt begeht und den Satz "SCHLESWIG-HOLSTEIN mußte DEUTSCHLAND freischleppen und ist jetzt selbst meerumschlungen" sagt.
Dieses Unglück war für die Deutsche Bundesbahn damals eine bittere Pille, glücklicherweise konnte die DEUTSCHLAND nach einer Woche Reparatur
wieder ihren Dienst aufnehmen. Immerhin war die Misere nicht in der Sommersaison geschehen. Noch eine Woche lag die kleine Sundfähre in ihrem nassen Bett. Dann schafften der Bergungsschlepper BUGSIER 8
, der Leichter BERGER VII und der Schwimmkran EIDER den Kraftakt. Schwer beschädigt lief das Schiff in die Nobiskrug Werft in Rendsburg: Die Schadensbehebung (großes Leck an der Backbordseite) dauerte
in diesem Fall vier Wochen. Alles in allem kostete der Unfall 500 000 DM.
Nachtrag: Die DEUTSCHLAND fuhr noch bis zur Indienststellung der neuen Fähre gleichen Namens 1972 auf den Vogelfluglinien und wurde später als RENETTA
und NISOS RHODOS in Griechenland eingesetzt. Nach einer Kurbelwellenexplosion brannte sie 1978 aus und wurde 1979 abgewrackt. Die SCHLESWIG-HOLSTEIN wurde mit der Fertigstellung der
Fehmarnsundbrücke arbeitslos und 1966 nach Italien verkauft, wo sie nach meinen Informationen noch heute als FERRY CAPRI fährt, ich lasse mich aber auch gerne eines Besseren belehren. Das Rettungsboot
WESER war noch bis 1960 in Burgstaaken beschäftigt, wechselte dann für drei Jahre nach Laboe und fuhr daraufhin noch bis 1969 von Wilhelmshaven aus ihre Einsätze. Ihre letzten Jahre verbrachte es, anfänglich
noch unter altem Namen, in Table Bay Harbor/Südafrika, wo sich nach 1980 die Spuren verlieren...
An dieser Stelle noch ein Dank an Andreas Lubkowitz von der DGzRS und Frau Gertraude Adrian von der Deutschen Bundesbahn.
Quellen: Hader/Meier, Eisenbahnfähren der Welt, Herford, 1986. Meier, Die Vogelfluglinie und ihre Schiffe, Herford 1988.
Prager, Katastrophen auf See: Die Ostsee ist kein Ententeich, Bremen 1978. DGzRS, Jahrbuch 1958, Bremen 1958.
Verfaßt Ende 1993, veröffentlicht im Fährschiffahrtsmagazin (heute Ferries) 1/94
.Ein sehr interessantes Bild der Strandung findet sich hier.
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